
Er geht als Journalist dahin, wo etwas passiert. Die Rede ist von unserem Club-Mitglied Klaus von der Brelie, der seit 1977 für die HAZ schreibt und seit 2001 in der Redaktion für die Außen- und Sicherheitspolitik zuständig ist. Zwölf Mal hat er seitdem Afghanistan bereist, verfügt also nicht nur über Informationen aus erster Hand, sondern kann auch über Erlebnisse und Begegnungen mit den Menschen am Hindukusch berichten. Sein Thema im Club am 20. Mai lautete: „Neues aus Afghanistan. Die Situation nach der Wahl“.
Und die Wahl ist noch nicht entschieden. Denn am 14 Juni müssen die Afghanen in einer Stichwahl zwischen Ex-Außenminister Abdullah Abdullah (45 Prozent im ersten Wahlgang) und dem früheren Weltbank-Experten Aschraf Ghani (31,6 %) entscheiden, wer ihr neues Staatoberhaupt wird. Klar ist bislang nur: Präsident Karsai konnte seinen Wunschkandidaten Salmai Rassul (11,4 %) nicht durchsetzen. Von zwölf Millionen Wahlberechtigten sind beachtliche sieben Millionen zur Wahl gegangen. Alles scheint fair abgelaufen zu sein. Abdullah und Ghani haben nach Einschätzung von von der Brelie zwar das Zeug, Afghanistan voranzubringen, doch ob sie das schaffen können, ist fraglich. Denn das Land ist in Volksgruppen zersplittert, die sich nicht verstehen, und auch die mächtigen Drogenbarone werden ihren Einfluss und ihre Geschäfte nicht aufgeben.
Die Regierungszeit unter Karsai hat dem Land keine großen Fortschritte gebracht, es gab kein Wirtschaftswachstum, die Korruption und der Drogenanbau wurden nicht bekämpft. Dabei kamen aus dem Westen viele Milliarden als Aufbauhilfe, die aber versickert sind. Das Bevölkerungswachstum ist groß, es gibt zu wenig Schulen, auch wenn die Lehrer in zwei Schichten unterrichten, ist die Unterrichtsversorgung unzureichend. Die Heilfürsorge ist zwar kostenlos, aber die Medikamente müssen selbst bezahlt werden und auch die Ärzte halten die Hand auf.
Afghanistan ist reich an Bodenschätzen. Würden diese abgebaut, würde es dem Land besser gehen. Mit dem Geld der NATO wurde eine Eisenbahnlinie Richtung Norden gebaut, die seit zwei Jahren betriebsbereit ist. Doch die angrenzenden Länder im Norden haben kein Interesse an der Linie und fordern Zolleinnahmen. Die deutsche Entwicklungshilfe, immerhin 430 Mio. Euro, kann wegen der prekären Sicherheitslage gar nicht ausgegeben werden. Die Hilfsorganisationen ziehen ihre Leute ab, weil die Lage zu gefährlich ist.
In der Spitze waren ca. 130.000 NATO-Soldaten im Land, um den „bösen Buben“ das Leben schwer zu machen. Die Amerikaner wollten mit ihrem militärischen Engagement nach 9/11 die Schulungszentren der Islamisten vernichten. Auch sollte der zivile Wiederaufbau mit Polizei- und Justizwesen gesichert werden. Die Deutschen waren den USA als Bündnispartner zur Solidarität verpflichtet, kamen mit viel Engagement ins Land und haben sich der Polizeiausbildung gewidmet. Diese war bei den Einheimischen auch deshalb begehrt, weil auch Lesen und Schreiben gelehrt wurde, denn ca. 70 % der Afghanen sind Analphabeten. Die deutschen Soldaten waren beliebt, weil sie angeklopft und nicht die Tür eingetreten haben, sagt von der Brelie. Nun ist das Feldlager in Kunduz geräumt und verfällt. Die Wasser- und Stromversorgung funktioniert nicht mehr, ein Klinikneubau wurde nie fertig. Vieles wurde bei Abzug der Truppen zerstört, statt es den Afghanen zu überlassen, darunter Feuerwehrautos und Busse.
Bedauerlich sei, so von der Brelie, dass Militär und Entwicklungshilfeorganisationen nie zusammengefunden und zusammengearbeitet hätten. Es gab keine gemeinsamen Büros. Jeder habe sein eigenes Ding gemacht, mit parallelen Strukturen und Warnsystemen.
Wie es jetzt weitergeht? Das ISAF-Abkommen läuft am 31. Dezember dieses Jahres aus und ein Nachfolge-Abkommen ist noch nicht unterschrieben. Dem ISAF-Einsatz soll eine von der NATO geführte Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission, die Resolute Support Mission (RSM), folgen. Das Zustandekommen dieser nicht als Kampfeinsatz geplanten Mission hängt vor allem vom erfolgreichen Abschluss eines Sicherheitsabkommens zwischen den USA und Afghanistan ab. Auch im Rahmen dieser Folgemission ist Deutschland grundsätzlich bereit, besondere Verantwortung zu übernehmen. Derzeit sind knapp 3.000 deutsche Soldaten in Afghanistan im Einsatz.
Besondere Verantwortung haben die Deutschen jetzt auch für die afghanischen Fahrer und Dolmetscher, die für sie gearbeitet und gut verdient haben. Der Neid auf sie sei groß und sie müssten jetzt um ihr Leben fürchten, weshalb viele ihr Land verlassen möchten. Inzwischen seien 700 Anträge bearbeitet worden, auch in Hannover. Nicht wenige möchten hier studieren und sich ein neues Leben aufbauen.
Bericht: Monika Dening-Müller